Eine Ode an die weibliche Wut

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Ich bin wütend. Schon lange. Vielleicht schon immer. Ich erinnere mich daran, dass ich als Kind zurechtgewiesen wurde, wenn ich meine Wut frei äußerte und versuchte mich zu verteidigen. Diese (meine) Wut war nämlich nicht erwünscht, schon gar nicht bei einem Mädchen. Ich würde sagen, dass ich ein sehr wütendes Kind und eine sehr wütende Jugendliche war, denn ich habe die Ungerechtigkeiten gespürt, aber konnte sie meistens nicht in Worte fassen, geschweige denn sichtbar machen.

Unterdrückte Wut

Auch heute, als Frau in den Dreißigern, spüre ich häufig Wut in mir. Mit den Jahren habe ich allerdings gelernt meine Wut zu zügeln oder zu unterdrücken. Ich habe gelernt, dass man(n) von mir Freundlichkeit, Besonnenheit, Sanftheit oder Zurückhaltung erwartet. Dass frau sich bitteschön „im Griff“ haben sollte und jeglichen Anflug von Wut oder gar Aggression zurückzuhalten hat. Ich erinnere mich an unzählige Situationen in meinem Leben, in denen ich vor Wut hätte platzen können und ich mich stattdessen zusammenriss oder weinte. Weinen ist übrigens eine Reaktion, die durchaus gesellschaftlich akzeptiert wird, weil sie „weiblich“ ist, während Wut als „unweiblich“ und vor allem als aggressiv wahrgenommen wird. Teresa Bücker beschrieb es in ihrer SZ- Kolumne „Freie Radikale“ so:

„Wenn sich eine Frau (…) traurig zeigt, wirkt sie verletzbar, nicht gefährlich. Traurig zu sein ist für Frauen die größere Chance, gesehen, gehört und getröstet zu werden. So abgedroschen das Klischee des Beschützerinstinktes ist, so wahr ist dennoch, dass die Männer, mit denen ich zusammen war, immer eher auf meine Traurigkeit als auf meine Wut reagierten und dass der Satz ‚Was passiert ist, macht mich traurig‘ sie nachdenklich machte, sie Interesse zeigen ließ, ein ‚Ich bin so wütend‘ aber dazu führte, dass sie den Raum verließen und darauf warteten, dass ich mich be­ruhigte. Wenn Wut verwandelt wird in Niedergeschlagenheit, dann geht verloren, was sie zum Ausdruck bringen wollte. Sie ist ein kraftvolles Gefühl, ein Ruf nach Veränderung.“

Gesellschaftliche Erwartungen

Frauen, die ihre Wut offen äußern, werden entweder nicht ernst genommen oder sie werden für ihren Tonfall gerügt. Ich habe gelernt mich den gesellschaftlichen Normen im Patriachat anzupassen und würde sagen, dass ich im Großen und Ganzen den Erwartungen einer weiblich gelesenen Person entspreche. Nur auf diese Weise – und das ist leider so – habe ich es geschafft, mich von einem Arbeiterkind hin zu einer Akademikerin hochzuarbeiten. Ich habe mich zurückgenommen, habe „brav“ all die Aufgaben gemacht, die mir aufgetragen wurden, ich war freundlich und offen, aber nicht zu offen, ich habe mich nicht in den Vordergrund gespielt und ich habe wenig Kritik geübt. Das ist gut angekommen, insbesondere bei Männern (aber auch bei Frauen) aus den höheren Etagen. Aber wo ist meine Wut von damals hingegangen? War sie auf einmal verschwunden? Soraya Chemaly hat es in ihrem Buch „Speak out! Die Kraft weiblicher Wut“ auf den Punkt gebracht:

„Sobald sie in die Pubertät kommen, haben die meisten Mädchen begriffen, dass offen ausgelebte Wut eine Gefahr für ihre Sicherheit und ihre Erfolgsaussichten ist. Sie erkennen, dass Wütend-Sein ein Risiko darstellt für den Erhalt ihres Status‘, ihrer Sympathiewerte und ihrer Beziehungen. Außerdem bringen Mädchen im Vergleich zu Jungen Wut viel öfter mit Scham in Verbindung. Mädchen aus der Arbeiterklasse und Schwarze Mädchen empfinden Wut als etwas Peinliches und Verpöntes; für sie ist das Äußern von Wut besonders kompliziert und riskant, gerade weil sie sie oft notwendig zur Selbstverteidigung brauchen.“

Meine Wut ist heute für die allermeisten nicht sichtbar, doch das bedeutet nicht, dass sie nicht da ist. Sie ist da, wenn mir Menschen (vor allem Männer) die Welt erklären wollen, obwohl ich das Expertinnenwissen in jenen Bereichen besitze. Sie ist da, wenn ich übersehen werde, obwohl ich etwas zu sagen habe. Sie ist da, wenn mein Wissen und meine Expertise als Meinung heruntergespielt werden, obwohl es sich nicht um irgendeine Meinung handelt, sondern um Wissenschaft. Sie ist da, wenn meine männlichen Mitmenschen mir ins Wort fallen, wenn ihre männlichen Äußerungen mehr Gehör finden oder wenn sie ihre Wut offen zeigen können, ohne eine Sanktion zu erhalten. Ja, das ist mein Alltag und der Alltag vieler Frauen. Tagtäglich müssen wir uns kleineren und größeren Erniedrigungen aussetzen, wir spüren nahezu immer, dass unser Wissen weniger Wert ist oder dass wir zu jedem Zeitpunkt unterbrochen werden dürfen.

Männliche Wut wird ernst genommen

Abwertungen von Frauen haben sich schon tief in das Leben von allen eingeprägt, das sagt Soraya Chemaly. Des Weiteren sagt sie:

„Akzeptabel ist das Wütend-Sein zu keinem Zeitpunkt im Leben einer Frau. Wenn jugendliche Mädchen für sich selbst einstehen, gelten sie als verzogen, dumm oder launisch. Ältere Frauen sind Mannsweiber, Kampflesben und Männerhasserinnen.“

Bei Männern ist das anders. Ein wütender Mann wird ernst genommen und er verschafft sich dadurch Gehör und Respekt. Frauen werden dagegen als „hysterisch“ bezeichnet oder ihre Wut wird als eine hormonelle Schwankung verbucht. „Hat sie wieder ihre Tage?“ wird dann häufig flappsig daher gesagt und hämisch dabei gelacht.

Es ist noch gar nicht so lange her, da habe ich bei Instagram eine Story über Gerald Hüther und seine rechten Tendenzen erstellt. Schnell hat mich eine persönliche Nachricht eines Mannes erreicht. Dieser ist im Netz in der bindugsorientierten Szene aktiv, setzt sich für Männer (Väter) ein und möchte sie in die Verantwortung nehmen. Er schrieb mir, dass ich Hüther mit meiner Story diskreditieren würde und dass damit ein demokratischer Diskurs – aus seiner männlichen Sicht –  verhindert wird. Des Weiteren sagte dieser Blogger, dass ich Hüther zu Unrecht in eine „Schmuddelecke“ stellen würde. Die absolute Höhe war es allerdings, als er mir unterstellte, ich hätte „noch keinen adäquaten Abschluss“ um mich als Expertin in dieser Sache zu bezeichnen. Ich war wütend, so richtig und habe die Konversation anonymisiert in meiner Story geteilt und offen gemacht, wie ich von einem Mann gesilenced werde. Daraufhin hat er mich blockiert.

Wohin mit unserer Wut?

Erst seit ein paar Jahren beginne ich (wieder) mich meiner Wut zuzuwenden, sie wahrzunehmen und sie manchmal  zu äußern. Doch sobald ich einen klitzekleinen Anflug von Wut nach außen bringe, werde ich sofort von einem Schamgefühl überwältigt. Der einzige Raum, in dem ich das Wütend-Sein einigermaßen zulassen kann ist das Internet. Hier kann ich ansatzweise meine Wut zum Ausdruck bringen und auch dort beginne ich mich irgendwann zu zügeln. Ich habe manchmal sogar Angst davor mich mit meiner Wut zu zeigen, weil dies wahrscheinlich einige Konsequenzen hätte. Ich würde anders wahrgenommen werden, vielleicht als eine aggressive, unangenehme Frau, mit der man nichts zu tun haben möchte und die man vor allen Dingen nicht ernst nimmt. Und ich würde womöglich auf meine Wut reduziert und wahrscheinlich würde der Auslöser meiner Wut nicht gesehen werden. Greta Thunberg erging es genauso bei ihrer berühmten „How dare you“ – Rede im September 2019 in New York. Nicht über den Inhalt wurde diskutiert, sondern über ihre Wut und ihr „aggressives Auftreten“.

Unterdrückte Wut macht krank, das schreibt u.a. Soraya Chemaly, und kann Depressionen oder Angststörungen auslösen. Ich habe noch keinen perfekten Umgang mit meiner, noch immer unterdrückten, Wut gefunden. Was mir hilft ist Schreiben, das Lesen von feministischer Literatur und feministischer Aktivismus.

Ja, ich bin eine wütende Frau und das ist auch gut so.

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