Rechte Gewalttaten sind keine Einzelfälle, sondern Teil unseres Problems

Schreibe einen Kommentar

Diese Woche hat sich das rassistische Attentat von Hanau zum ersten Mal gejährt. Neun Menschen wurden am 19. Februar 2020 ermordet:

Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar, Kaloyan Velkov.

Ihre Namen und ihre Geschichte dürfen nicht in Vergessenheit geraten. Denn Hanau ist kein Einzelfall. Der Täter von Hanau ist ebenso kein Einzeltäter. Neun Menschen – und mit ihnen ihre Angehörigen – haben an jenem Abend ihr Leben verloren, weil Rassismus, Frauenhass, Antisemitismus und damit einhergehend rechte Gewalt noch immer verharmlost werden.

Der Faschismus hat viele Gestalten

Der Faschismus ist mitten unter uns. Er ist in der Mitte schon längst angekommen (vielleicht war er auch schon immer da? Oder nie wirklich weg?). Er zeigt sich mal offen, mal verdeckt. Mal laut, mal leise. Und immer wieder zieht er sich den Mantel der Demokratie über seinen braunen, menschenverachtenden Kern. Er kommt mal als sogenannter Lebensschützer und in Form besorgter Eltern, mal ganz traditionell mit Springerstiefeln oder mal modern mit Anzug und veganem Burger daher. In seiner Gestalt scheint er vielfältiger und nicht mehr eindeutig erkennbar geworden sein – seine Gefährlichkeit, seine Brutalität, sind noch immer, wie eh und je, Teil seiner Gestalt. Die Amadeu Antonio Stiftung setzt sich seit Jahren dafür ein, dass rechte Gewalt als solche wahrgenommen wird und dafür, dass rechte Gewalttaten nicht als Einzelfälle abgetan werden. Die Stiftung zählt mindestens 213 Todesopfer seit 1990, die mit rechtsextremer Gewalt in Verbindung stehen.

Rechte Gewalt wird hierzulande noch immer heruntergespielt, ja sogar bagatellisiert. Opfer werden plötzlich zu Täter*innen degradiert, sie werden erniedrigt und beschämt. Es ist bekannt, dass deutsche Behörden auf dem rechten Auge blind sind, schlimmer noch: Dass sie rechtsextreme Strukturen teilweise unterstützen und verteidigen. Ohne die Unterstützung des Verfassungsschutzes hätte der NSU beispielsweise nicht existieren können. Dass dies nicht skandalisiert oder aufgearbeitet wird, macht deutlich, wie tief rechtsextreme Strukturen greifen. Die Strafverteidigerin Christina Clemm schreibt in ihrem Buch: „Akteneinsicht – Geschichten von Frauen und Gewalt“ folgendes:

„Rechte Gewalt wird von Ermittlungsbehörden und Gerichten immer noch und systematisch verharmlost. Laut den Statistiken der Opferberatungsstellen für Opfer rechter Gewalt, die Zahlen für Berlin und die fünf östlichen Bundesländer zusammenstellen, gab es 1212 Angriffe im Jahr 2018, die 1789 Opfer betroffen haben. Dies bedeutet, dass jeden Tag fünf Personen Betroffene rechter Gewalt geworden sind, davon jeden Tag eine Frau und jeden zweiten Tag ein Kind. In Nordrhein-Westfalen gab es 2018 232 Angriffe, viele westdeutsche Bundesländer aber verfügen nicht über entsprechende Statistiken. Es wird dabei von einem hohen Dunkelfeld ausgegangen, Schätzungen gehen davon aus, dass nur 37 Prozent der Gewalttaten angezeigt werden. Und selbst wenn sie verfolgt werden, werden Taten von Neonazis von Ermittlungsbehörden und Gerichten, aber auch von Medien oft zu fehlgeleiteten, eigentlich unpolitischen Taten verharmlost.“

Eine richtige Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus hat nie stattgefunden

Auch dass eine Partei wie die AfD Einzug in den Bundestag und in die Landesparlamente geschafft hat, ist kein Zufall, sondern Teil unserer faschistischen Strukturen. Noch immer machen wir uns vor, den Nationalsozialismus gänzlich hinter uns gelassen zu haben, indem wir eine bestimmte Art von Gedenkkultur pflegen. Eine richtige Auseinandersetzung hat allerdings nie stattgefunden und ist auch nicht erwünscht. Astrid Messerschmidt schreibt in ihrem Artikel „Geschichtsbewusstsein ohne Identitätsbesetzungen – kritische Gedenkstättenpädagogik in der Migrationsgesellschaft“:

„Ein durchgehendes Motiv im Umgang mit den NS-Verbrechen in der Bundesrepublik besteht bis heute in der Abwehr eines vermuteten und stets befürchteten Schuldvorwurfs, der nicht ausgesprochen werden muss, um eine vorauseilende Beteuerung der Nichtschuld zu provozieren. Diese stark emotionale Komponente findet sich auch in den dritten und vierten Generationen nach 1945 wieder, deren Angehörige kein ernst gemeinter Schuldvorwurf treffen kann. Es ist weniger eine explizite Schuldabwehr, eher eine Sorge um ein unbeschädigtes und unbelastetes Nationalgefühl, ein Ausdruck des Wunsches, harmlos zu sein.“

Astrid Messerschmidt problematisiert in jenem Artikel, dass die heutige Ausrichtung einer Gedenkkultur und einer Gedenkstättenpädagogik ihren Schwerpunkt lediglich darin hat, sich von den NS-Verbrechen abzugrenzen, indem ein dualistisches Konzept – Wir und die Anderen – erzählt wird. Ferner geht es darum die Illusion aufrechtzuerhalten, dass wir heute die Guten sind. Menschenrechtsverletzungen, Rassismus, Antisemitismus, Misogynie und Diskriminierungen, die täglich geschehen, werden aus dieser Perspektive relativiert und als „nicht so schlimm“ abgetan. Diese Kritik der Autorin macht deutlich, dass eine reflexive Aufarbeitung mit dem NS-Regime nie stattgefunden hat und vor allem, dass dies auch gar nicht gewollt ist.

Rechtsextremismus wird verharmlost

Antisemitische, frauenverachtende, rassistische Gewalten stehen in den allermeisten Fällen in Verbindung mit rechtsextremen Strukturen. Diese Verbindungen werden von Behörden nicht als solche anerkannt und das obwohl Sozialwissenschaftler*innen seit Jahren darauf verweisen. Immer wieder gibt es gar eine Scheindiskussion über die Verharmlosung rechter Gewalt, indem gesagt wird, dass Linksextremismus das weitaus größere Problem unserer Gesellschaft sei. In diesem Zusammenhang wird die sogenannte Hufeisentheorie herangezogen, die besagt, dass es zwei extremistische Enden gibt, die gleich gefährlich zu bewerten sind und welches die Mitte als das zu erstrebenswerte Ideal betrachtet. Diese Theorie wird von vielen Sozialwissenschaftler*innen kritisiert, weil auf diese Weise Rechtsextremismus heruntergespielt wird.

Der Anschlag von Hanau vor einem Jahr kam nicht von ungefähr. Genauso wie ein paar Monate zuvor das Attentat in Halle oder der Mord an Walter Lübcke oder der Nationalsozialistische Untergrund auch keine Einzelfälle waren – so wie es jedes Mal danach erzählt wird. Diese schrecklichen Taten sind unter anderem passiert, weil die Behörden ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben. Weil sie rechte Gewalt nicht als das betrachten was sie ist. Weil sie sich ihren eigenen rechtsextremen, rassistischen Strukturen nicht stellen wollen. Weil sie die Verantwortung wegschieben, anstatt sich ihrer anzunehmen. Da ist es einfacher nach links zu schauen. (Anmerkung: Nein, es geht hier nicht darum Linksextremismus zu verharmlosen oder zu legitimieren. Jegliche Form von Gewalt ist zu ahnden. Und dennoch ist rechtsextreme Gewalt in vielen Fällen tödlich, Linke dagegen nicht.)

Rechte Gewalttaten sind keine Einzelfälle

Hanau war kein Einzelfall. Hanau kam nicht aus dem Nichts. Es ist passiert, weil ein großer Teil von uns auf dem rechten Auge blind ist. Rechte Gewalttaten als Einzelfälle zu benennen, ist bereits ein Teil des Problems. Es darf auch nicht nur darum gehen dem Rechtsextremismus auf individueller Ebene zu begegnen (so wie wir es bisher praktizieren), es muss tiefer – ja sehr tief – gegraben werden.

Danke, dass du dir Zeit genommen hast diesen Text zu lesen. Wenn dir dieser Artikel gefällt, dann teile ihn gerne mit deinen Freund*innen.

Hier findest du mehr Infos zum Newsletter.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert